Mitgliederversammlung am 23. und 24.11.2019 in Goslar
Text: Rüdiger Hagen
Bilder: Michael Caspers
Die Jahreshauptversammlung 2019 der Müllergilde fand erstmals an zwei Tagen statt. In Goslar und Umgebung waren die Veranstaltungsorte gut gewählt, zum einen recht zentral für Mitglieder aus Niedersachsen, Thüringen, Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Berlin, zum anderen weil dort vor Jahrzehnten in selbigen Räumen des Tagungszentrums „Der Achtermann“ eine Versammlung des damaligen Deutschen Müllerbundes stattgefunden hatte.
Am ersten Versammlungstag konnten wir ab 15 Uhr die Getreidemühle Sack in Langelsheim, seit einigen Jahren von Anke Dege, geborene Sack, geführt, besichtigen. Die heutige moderne Mühle mit trotzdem noch handwerklichem Charakter steht auf einem sehr alten Wassermühlenstandort und hat in der jüngeren Vergangenheit einige Schicksalsschläge erlebt. Nach einem verheerenden Brand musste die vollständig zerstörte Mühle 2002 völlig neu aufgebaut werden, eine Mustermühle mit neuester Einrichtung, wie man unserem Jahrgang der Deutschen Müllerschule Braunschweig damals diesen Betrieb als Beispiel für noch tatsächlich existente Handwerksmühlen vorstellte. Anke Dege führte mit einer wirklichen Begeisterung durch ihre Mühle und brachte in unvergesslicher Art uns nahe, dass ein kleinerer Mühlenbetrieb heute noch seine Chance hat, aber auch seine Probleme, zu denen heutzutage auch solche Dinge wie angebliche Staub- und Lärmbelästigung bei manchen Anwohnern um die Mühle gehören.
Die Fotos, die Anke Dege uns aus der Zeit von dem Brand ihrer Mühle zeigte, erinnerten Einige von uns an den von widerwärtigen Menschen bewusst verursachten Brand im nicht weit entfernten Liebenburg am 19. Mai 2012, der mit einer Totalzerstörung der dortigen Bockwindmühle endete, zudem an den zu frühen Tod des aus der Liebenburger Müllerfamilie stammenden Müllers Thomas Becker im Frühjahr 2019, der uns auf der Mitgliederversammlung 2018 noch trotz schwerer Krankheit mit Enthusiasmus durch die Laboreinrichtungen der Müllerschule Wittingen geführt hatte.
Nach einem abendlichen Ausklang im „Kaisersaal“ fand dann am nächsten Tag die eigentliche Mitgliederversammlung statt.
Philipp Oppermann begrüßte die angereisten Mitglieder und leitete anschließend die Mitgliedersammlung. Das Protokoll der Versammlung 2018 in Wittingen verlas Dennis Berger. Die Mitglieder gedachten anschließend dem am 22. Oktober 2019 verstorbenen Bernd Wald, Vorsitzender des Windmühlenvereins Bardowick und Gründungsmitglied der Müllergilde. Kassenwart Torsten Rüdinger stellte den Kassenbericht für 2019 vor und verlas die Kassenplanung für 2020. Der Kassenprüfungsbericht lag zur Versammlung leider nicht vor. Kassenprüfer Bernd Wald hatte die Prüfung vor seinem überraschenden Tod noch vorgenommen, der zweite Kassenprüfer war jedoch in der Versammlung nicht anwesend. Der Bericht soll deshalb in der nächsten Versammlung nachgereicht werden.
Es folgte der Bericht des Vorstandes. Eckhard Meyer trug stolz vor, dass unser traditionelles Müllerhandwerk in Wind- und Wassermühlen seit Anfang Dezember 2018 in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO-Kommission eingetragen worden ist.
Dann sprach Eckhard Meyer das Thema Ausbildung von Handwerksmüllern an. Es könnte in Zukunft ein Projekt „Handwerksmüllerausbildung“ geschaffen werden, von dem nicht nur Berufsmüller profitieren könnten, sondern auch eine Art gehobene Ausbildung für ehrenamtliche Müllerinnen und Müller, die mit ihrer Wind- oder Wassermühle Produkte zum Verzehr herstellen wollen, entstehen. Meyer betonte dabei, dass an den heutigen Müllerschulen etwa 2/3 Industriemüller und 1/3 Handwerksmüller ausgebildet werden. Der Schwerpunkt der Handwerksmüllerausbildung liegt in der Hand der Müllerschule in Stuttgart.
Dann folgen drei Vorschläge Meyers. Zunächst die Handwerksmüllerausbildung in dem heutigen Ausbildungssystem der Berufsschulen für „Müller“ mit anzubieten. Danach die Kontaktaufnahme zu den Niederländern, wo seit Jahrzehnten eine Ausbildung für den Betrieb handwerklicher Mühlen (in der Mehrzahl Windmühlen) durch Ehrenamtliche angeboten und erfolgreich durchgeführt wird. Zum Schluss eine Kontaktaufnahme zu den Kultusministerien und Bitte um Unterstützung der Politik für die Schaffung einer autarken Handwerksmüllerausbildung.
Hubertus Nitzschke und Rüdiger Hagen steigen in die lebhafte Diskussion ein. Nitzschke erwähnt, dass die staatliche Ausbildung zum „Verfahrenstechnologen in der Mühlen- und Getreidewirtschaft“ eine Handwerksmüllerausbildung heute nicht mehr akzeptieren würde. Er verweist auf die private Müllerschule in Uzwil als Sonderbeispiel, die aber von einer dort ansässigen renommierten und global tätigen Mühlenbaufirma gesponsert wird.
Rüdiger Hagen verweist auf einige Ausbildungen für ehrenamtliche Mühlenbetreiber, insbesondere die in Niedersachsen seit 1995 stattfindenden. Diese richten sich an den Leerlaufbetrieb und das Erklären von Mühlen, nicht aber an eine Verarbeitung von Getreide zu Speise- oder Futtermittelzwecken. Der praktische Umgang mit Mühlen würde rein theoretischen Mühlenerklärungen immer mehr hinterherstehen. Ein 2018/19 stattgefundener „Müllerkurs“ der Mühlenvereinigung Niedersachsen-Bremen im Raum Braunschweig habe bei ihm die Meinung bestätigt, dass mit 160 Schulstunden wohl nicht häufig ein Ehrenamtlicher in der Lage ist, eine historische Mühle sach- und fachgerecht zu betreiben. Ein unglücklicher Unfall mit Beschädigung der Bremsanlage der Bockwindmühle Dettum während der praktischen Prüfung dieses Kurses haben seine Bedenken bestätigt und auch dazu geführt, dass er Kurse für die MVNB nicht mehr betreuen und sich hingegen mehr für über seine Mühlenrestaurierungsfirma laufende praktische Kurse für Ehrenamtliche im Umgang mit historischer Mühlentechnik und handwerkliche Getreideverarbeitung kümmern wird. Die von ihm betreute Windmühle in Steinhude, an der schon einige Ehrenamtliche in der Verarbeitung von Getreide zu Speisezwecken ausgebildet worden sind, könne mit zwei momentan Interessierten zu einer Art „Pilotprojekt“ der Müllergilde beitragen.
Torsten Rüdinger verweist in dem Rahmen auf einen Workshop, den die Mühlenvereinigung Berlin-Brandenburg 2019 in einer Motormühle zum Thema Transmissionen erfolgreich durchgeführt hat. Rüdiger Hagen ist der Meinung, dass die Teilnahme an solchen Ausbildungs-Bausteinen wichtiger sei als das Auswendiglernen von Fachbegriffen. Er würde sich anbieten, für Interessierte auch einen ähnlichen Workshop an der Windmühle Steinhude durchzuführen.
Dann folgt ein für handwerkliche Mühlenbetreiber, egal ob hauptberuflich oder ehrenamtlich, eine Vorstellung mit Diskussion des seit Januar 2019 geltenden Bundesverpackungsgesetzes. Demnach ist Jeder von uns, der selbst hergestellte Produkte in Verpackungen füllt und an Verbraucher abgibt verpflichtet, sich bei einer Abfallverwertungsorganisation seiner Wahl zu melden, sich bei einer Lizensierungsstelle anzumelden mit Eintragsdaten im Firmenregister oder spezieller Nummer im Vereinsregister, seine geschätzte Gewichtsmenge an Verpackungsmaterial jährlich anzugeben, am Jahresende mit der wirklich verbrauchten Menge abzugleichen. Für die meisten unserer handwerklichen Mühlenbetreiber ist hier nur die Mindestmenge an Verpackungsmaterial anzunehmen, daher sind die Abgabekosten gering, aber etwas bürokratischer Aufwand entsteht doch. Deswegen hat der Bayerische Müllerbund, in dessen Zugehörigkeit noch immer viele Handwerksmühlen fallen, Ende 2018 gegen dieses Gesetz eine Petition eingelegt, der nicht stattgegeben wurde. Es folgen Beispiele für Lizenznehmer, die für unsere kleineren und ehrenamtlichen Betriebe günstige Konditionen anbieten.
Gegen Mittag endete die Versammlung und die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich danach noch zu einem gemütlichen Essen in der Goslarer Altstadt ein. Einigen Teilnehmern war es spontan danach noch gegönnt, sich die einzigartige Technik der Goslarer Lohmühle am Klapperhagen, die von Rüdiger Hagen erforscht und dokumentiert worden ist und im Anschluss daran 2013/14 unter seiner Anleitung von einer Mühlenbaufirma aus der Altmark restauriert werden konnte, zu besichtigen Mit einem gewaltigen Stampfwerk mit 12 Stempeln wurde früher Harzer Tannenrinde für die städtische Lederindustrie zerkleinert, in einem althergebrachten Mahlgang Eichenrinde, die über im 17. und 18. Jahrhundert beschwerliche Wege im Zuge der Holzlieferungen für den Harzer Bergbau in die Stadt gelangte.
Alles in Allem war diese Versammlung eine gelungene und außerordentlich informative Veranstaltung in den herrschenden umbrüchigen Zeiten. Die nächste Mitgliederversammlung soll am 14. und 15. November 2020 stattfinden.
Ich möchte einige Inhalte der Versammlung mit einem Gedicht zusammenfassen.
Dem Müllerhandwerk ein „Glück zu“
Drückt uns auch heut so mancher Schuh.
Das tut Er nicht etwa wegen der Tage Hast und Last,
die wäre sogar schön, hätt man sie angepasst.
Wenn ich so in die Zeitung blicke, auch die fachlichen Broschüren mit Geschicke,
dann glaub ich zu denken bald, man mag uns Handwerksmüller nur noch bedingt von Gestalt.
Das „angepasst“ von Zeile vier und nicht drei, entspricht dabei noch ner ehrlichen Müllerei.
Angepasst heißt da für mich, die Moderne und die Vergangenheit verstehen sich.
Die wenigen Menschen, die sich noch wirklich das Mahlen zu erleben gönnen,
die Steine und Walzen noch nach Gefühl einstellen können,
die was verstehen von Schmiegenrohrschreinerei,
denen der Siebmaschenzähler und die Grießputzerei sind nicht einerlei,
die nennen sich voll Stolz noch „Müller“ und nicht „Verfahrenstechnologen“,
denn dem Handwerk sind sie stets gewogen.
Die Woge klafft zwischen zwei Welten immer mehr,
was die Riesenmühl automatisch schafft daher,
dass müssen wir ja nicht, denn sind wir unter den Konzernen ein winziger Wicht.
Wir kennen nicht am Tagesend die 1200 Tonnen Mehl,
obwohl uns're Walzen drehen genau so schnell.
Doch haben wir den Großen Vieles voraus,
zu uns kommen Menschen aus der Hast des Alltags und fühlen sich zu Haus.
Solange sich Mühlsteine und Walzen drehn,
noch Treibriemen flappen und Jemand Siebe kontrolliert,
der Müller riecht noch etwas weiß parfürmiert,
da wird kein Mensch hungrig nach Hause gehen!